„WORUM ES GEHT- Autismus, Trauma und Gewalt“ von H. C. Rosenblatt

Eine Buchrezension

Uns ist die Ehre zuteil geworden, euch ein Buch vorstellen zu dürfen. Und das meinen wir so, wie wir es schreiben, denn das Buch ist im letzten Jahr für uns zu einem wichtigen Begleiter geworden, hat einiges an Prozessen angestoßen, hat uns Vieles gelehrt und so manches in Frage gestellt. Wir sehen es als ein sehr wertvolles Werk. Ich habe nicht ausgiebig genug recherchiert um sagen zu können „das Einzige bisher, dass diese Themen so beleuchtet“, würde es aber fast annehmen.

Wir schreiben über das Werk „Worum es geht. Autismus, Trauma und Gewalt“ von Hannah C. Rosenblatt, als Erstauflage 2023 erschienen beim edition assemblage Verlag. Die Autorin, die „Rosenblätter“, lebt bzw sie leben mit dissoziativer Identitätsstruktur auf dem Autismusspektrum.

In unsere Rezension wird sich unweigerlich viel Persönliches von uns mischen, da das Thema uns so stark beschäftigt und berührt, dass wir es kaum trennen können.

Zu Beginn des Buches gibt es eine aufschlussreiche kurze Erklärung mit sehr veranschaulichenden Skizzen zu den Themen DIS und Autismus bzw Neurodiversität.

Hier gab es für uns schon den ersten AHA-effekt, der erste Dominostein, der weitere zum Fallen brachte, im konstruktiven Sinne: wir erkannten, wir haben ein „Helfertrauma“, wie Hannah es nennt, welches nicht aus böswilliger Fehlbehandlung resuliert, sondern aus Missvertständnissen, Missverstandenwerden und Kommunikationsbarrieren zwischen UNS und „Helfer“. Wir sind an ganz alte Verletzungen in uns gekommen, deren Grund und Auslöser wir erst jetzt verstehen. Wir decken nun auf, wo uns Therapie geschadet hat, weil wir als Autist(en) eine andere Form von Kommunikation, Wahrnehmung und Denken haben und hatten. Wo uns Gewalt angetan wurde, weil letzteres vermutlich nicht ausreichend bekannt war, somit uns nicht geglaubt und als nächste psychische Störung oder mangelnder Therapiebereitschaft ausgelegt wurde. Vor allem aber ist das Buch gerade jetzt eine Stütze, mit unserem neuen Therapeuten auf den Weg zu machen, diese Brücke zu finden. Was brauchen wir? Was muss anders laufen? Wie kann es anders laufen? Um das zu erkennen, muss man sich der entstandenen Schäden und seiner Ursache bewusst sein. Unsere jetzigen Unterstützer werden mit uns gemeinsam daran arbeiten, eine „Brücke“ zu finden, zwischen den unterschiedlichen Funktionssystemen. Dafür haben wir ihnen auch das Buch empfohlen und werden es gemeinsam noch einmal durcharbeiten. Wir haben die Hoffnung, dass wir so einen neuen Weg finden, wie Unterstützung für uns als Autistin/Autisten mit dissoziativer Identitätsstruktur aussehen und funktionieren kann.

Im weiteren ist das Buch eine Mischung aus persönlichem Berichten aus Hannahs Leben, Erleben, Erfahrungen, vor allem im Bereich Therapie als Autist, Gewalt in Therapie und in der Gesellschaft bzw bestehenden Systemen. Der Aufbau ist somit für uns sehr logisch und gut nachvollziehbar, an biografische Punkte knüpfen sich bestimmte Themen wie zum Beispiel „Hilfe als Gewalt, die Traumatherapie, die Komplexitätsreduktion, die Maske, die Diagnosen-Debatte“ und viele mehr, die Hannah mit allgemeinen Informationen und persönlicher Meinung beleuchtet. Wir haben allergrößten Respekt vor der gründlichen, ausgiebigen Recherche, die vermutlich dahinter gelegen hat.

Es gibt Punkte, zu denen wir eine grundlegend andere Meinung haben und auch nach mehrmaligem Überdenken dabei bleiben. Das was überwiegt beim Lesen, ist jedoch ein Gefühl von „endlich verstanden werden“ und „endlich erkennt es jemand“ und „ich bin mit DIESER Erfahrung nicht allein“ bis hin zu „jetzt ergeben x und y in meinem Leben einen Sinn, warum es so weh tat. Und dass es wirklich Gewalt war, auch wenn sie auf den ersten Blick so gut gemeint erschien“.

Das Buch ist keine leichte Kost, für uns sehr anstrengende Lektüre. Das liegt zum einen an der Korrelation zu unseren eigenen Themen, den vielen Erkenntnissen und Erschreckmomenten, die wir beim Lesen hatten. Zum anderen ist der Schreibstil teilweise sehr anspruchsvoll und mit vielen reichhaltigen Informationen bestückt, die Themen an sich bringen schon eine große Komplexität an sich mit und wir vermuten bereits auf den ersten Seiten, dass Hannah eine sehr hohe Intelligenz besitzt.

Wir haben das Buch deshalb in kleinen Dosen gelesen, mit Bleistift wichtiges angemarkert, dann wieder beiseite gelegt, ein zweites Mal gelesen und mit Buntstift Wichtiges vom Wichtigen erneut angemarkert. Kurz gesagt, obwohl einiges biografisches enthalten ist, ist es für uns auch eine Art Fachliteratur oder Arbeitsbuch geworden, mit und aus dem wir lernen und weitergehen können.

Ein weiterer für uns schwieriger Punkt war, dass der Fokus so sehr auf dem Aufdecken von Gewalt liegt. Gewaltstrukturen erkennen, selbst dort wo sie so „normal“ geworden sind, dass man sie kaum noch wahrnimmt. Wo sich Ableismus so fest in unsere Gesellschaft, unseren Alltag, unsere Miteinanderstrukturen verwebt hat, dass es den meisten Menschen weder bewusst, noch auf den ersten Blick erkennbar oder verständlich erscheint. Genau dort zeigen die Rosenblätter Missstände auf. Nicht anklagend oder mit Schuldzuweisungen, aber mit sehr ausführlich recherchierten und präzise formulierten Erklärungen und Hintergrundinformationen. Das Buch regt an, Strukturen in unserer Gesellschaft mit einem Blickwinkel zu betrachten, den vermutlich viele zuvor noch nicht eingenommen hatten. Kritischer zu beäugen, wo gewaltvolle Abläufe und Ableismus normaler Alltag sind, bei fast jedem von uns und vor allem in der (therapeutischen) Unterstützung von Gewaltüberlebenden mit von der Norm abweichendem Neurotyp. Das ist ganz wichtig und ich rechne den Rosenblättern sehr hoch an, dass sie sich dieser Aufgabe (so gut!) gestellt haben. Wir mussten uns jedoch immer wieder distanzieren und aufs Hier und Jetzt konzentrieren. Zu schnell rutschen wir noch in traumanahe Gedankenspiralen in Richtung „alles ist Böse“. Keineswegs ist das die Aussage des Buches, und der Titel bereitet ja bereits vor, worum es eben geht. Aufgrund unserer Geschichte hätte uns jedoch zum leichteren Lesen immer mal einen „Hoffnungsschimmer“, was schon gut läuft, geholfen. Dies ist nur eine persönliche Präferenz.

Wir empfehlen das Buch nicht nur denen, die mit dem Thema Autismus in irgendeiner Art konfrontiert sind, sondern jedem der bereit ist, sich über Missstände in unserem Miteinander Gedanken zu machen. Für uns ist es ein sehr wertvolles Buch geworden.